Samstag, 9. November 2019

Die reformierte Mathematik – Endliche algebraische Körper

0. Was passiert hier?

Wie im Auftakt-Beitrag erläutert, möchte ich gerne einigen Aussagen der reformierten Mathematik auf den Zahn fühlen.  In diesem Artikel hier möchte ich mich der Theorie algebraischer Körper widmen, die in Abschnitt 7 versucht wurde, zu widerlegen.

Die reformierte Mathematik – Auftakt

Vor wenigen Tagen habe ich meinem Uni-Kollegen davon berichtet, was Peter Plichta so veröffentlicht hat. (Ihr erinnert euch sicherlich: eine umfassende Mystifizierung der Zahlen 1, 2 und 3 und aller natürlichen Zahlen, die weder durch 2 noch durch 3 teilbar sind.) 

Im Zuge dessen sind wir einigen Links gefolgt und dabei auch auf die durchaus interessante Abhandlung An Editor Recalls Some Hopeless Papers gestoßen. In ihr versucht ein Editor zu verstehen, warum um Togs Namen so viele mathematische Laien (meist mit philosophischer Grundausbildung) versuchen, ausgerechnet Cantors zweites Diagonalargument zu zerlegen – und dabei kläglich scheitern. Ein Grund dafür war, dass sie nicht einmal das Argument selbst angegriffen haben. In den Worten des Autors:
It was surprising how many of our authors failed to realise that to attack an argument, you must find something wrong in it.
Dieses Diagonalargument und die Unfähigkeit, in ihm etwas Falsches zu finden, soll im Laufe dieser Artikel-Serie auch noch thematisiert werden. Doch um was geht es? Um nichts weniger als die Reformation der Mathematik! Dieses Vorhaben haben wir hinter einem weiteren Link gefunden, der uns auf die Website mathe-neu.de geführt hat. Und dort steppt der Bär! Oder, um es in den Worten von Peter Kepp, dem Mastermind hinter dem Projekt, zu sagen:
Studenten der Naturwissenschaften!
Akzeptiert nicht die hier widerlegten Aspekte des Faches, die euch als Mathematik gelehrt werden! [...] In euren Händen liegt die Zukunft. Vermittelt, wenn ihr die Ämter besetzt, die widerspruchsfreie Lehre. Bleibt der wahrhaften Erkenntnis verbunden — bitte!
Da wird man als Student der Mathematik, wie ich es wohl lebenslang sein werde, natürlich hellhörig. So eine Widerlegung grundlegender mathematischer Aspekte wäre eine gigantische Sache! Man hätte die Möglichkeit, so viel Neues über die Welt zu lernen, und die Langeweile wäre für einige Jahre völlig verschwunden. Hinzu kommt, dass es nicht einmal Randaspekte sind, die angeblich widerlegt wurden, sondern elementare Grundbausteine, die in jedem Grundstudium vorkommen. Im Einzelnen wird versucht, die folgenden Dinge zu widerlegen:
  • die imaginäre Einheit
  • das schon angesprochene Diagonalargument mit all seinen Folgen
  • die (empirisch) schönste Formel der Mathematik
  • die Wohldefiniertheit des kleinsten algebraischen Körpers
Ja, es wird sogar der Versuch unternommen, Grundrechenarten und Wurzelfunktionen neu zu definieren, damit endlich alles seine Richtigkeit habe. Welch interessantes Vorhaben, das uns zu so mancher Erkenntnis führen wird.

Doch der Leser sei gewarnt! Es genügt natürlich nicht, die Aussagen der reformierten Mathematik einfach hinzunehmen. Genauso, wie deren Autor die Mathematik kritisch geprüft hat, ist es unsere Aufgabe, im Gegenzug eine Prüfung der reformierten Mathematik durchzuführen. Auf diesem Weg werden wir drei Dinge lernen:
  1. Die reformierte Mathematik ist nicht haltbar. Die ausgemachten vermeintlichen Widersprüche innerhalb der Mathematik sind keine. Etwas Falsches in der Mathematik wurde nicht gefunden. (Das beruhigt!)
  2. Mathematik ist interessant und weitläufig, doch auch schwierig. Einige ihrer grundlegenden Konzepte werden wir besser verstehen, nachdem wir sie besprochen haben.
  3. Menschen können sich irren. Wir werden einige Fehlannahmen und die Psychologie dahinter (von mir charmant auf Küchentischniveau vorgetragen) kennenlernen.
Der Ablauf ist dabei in der Mathematik Gang und Gebe: 
  1. jemand hat eine neue Idee, die zu einem Widerspruch führt, 
  2. andere prüfen diese Idee, 
  3. und am Ende findet man gemeinsam den Fehler – entweder in der Idee oder in der bisherigen Theorie oder (was besonders interessant ist) in beiden. (Die vierte Möglichkeit, dass alle tadellos gearbeitet haben und es dennoch zu einem Widerspruch kam, ist per Definition nicht möglich.)
Am Ende verbleibt ein widerspruchsfreier Text und das befriedigende Gefühl, etwas gelernt zu haben. Was kann es Schöneres geben?

[Nachfolgend die Übersicht aller Artikel in dieser Serie:
Diese können im Wesentlichen in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.]