Samstag, 18. Juli 2020

Soziale Freiheit

In erster Linie bin ich Wissenschaftler, Mathematiker. In zweiter Linie einer von mehreren Autoren. Erst in dritter mache ich irgendwas mit Politik. Entsprechend staffeln sich auch meine Überzeugungen: Sie müssen logisch begründbar, ansprechend formuliert und schließlich humanistisch sein. Nun ist es leider so, dass sich kaum jemand etwas unter humanistischer Politik vorstellen kann. Verwunderlich ist das kaum, schließlich ist der Begriff nicht nur unbekannt, sondern (wie so viele andere Begriffe) sogar unbestimmt. Unter den Humanisten gibt es
  • christliche,
  • klassische,
  • evolutionäre.
(Bonuspunkte für alle, die eine Definition angeben können.) Ich selbst befinde mich in der letzten Gruppe – aber auch in dieser gibt es Probleme. Manche sind gar der Meinung, die Ideologie des Humanismus könne nicht Basis einer umfassenden Politik sein. Nun, ich bin anderer Meinung, nicht zuletzt deswegen, weil es die sogenannte Partei der Humanisten gibt, die seit einiger Zeit auf vielen Wahlzetteln zu finden ist.

Ein Punkt, der mir in der Politik besonders wichtig ist, ist die einfache bzw. hilfreiche Gesellschaft (ein von mir noch zu prägender Fachterminus, der im weiteren Text keine Rolle spielen wird), welche zu einer gemeinschaftlichen Beschäftigung mit Politik führt. (Ja, das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da ich lieber allein als in Gesellschaft bin.) Dies führte schon des Öfteren dazu, dass ich als Sozialist bezeichnet wurde (besonders von Leuten, die zwanghaft jede Politik in eine der drei klassischen Kategorien "Sozialismus", "Liberalismus" und "Konservatismus" einordnen wollen). Dieser Einordnung folgt zumeist auf den Fuß, dass Sozialismus nicht funktionieren könne und ich deswegen falsch läge.

Ich mag es aber nicht, falsch zu liegen.

Donnerstag, 7. Mai 2020

Mittelwerte und wo sie zu nutzen sind

In Zeiten von Corona hat sich herausgestellt, dass viele Menschen Spaß an Mathematik haben. Hieß es früher noch voller Überzeugung

Das brauch ich später eh nie wieder!

ist heutzutage an allen Ecken und Kanten zu hören:

Natürlich weiß ich, was eine Exponentialfunktion ist! Ich kann sie sogar ableiten!

Im Zuge dieser allgemeinen mathematischen Begeisterung kam bisher ein Punkt leider zu kurz, nämlich die Frage danach, wie man in verschiedenen Corona-Kontexten den Mittelwert zu bilden hat. Vor Corona hieß es auch hier:

Hä? Mittelwert ist Mittelwert, lass mich in Ruhe!

Doch nun, mit unseren geschärften Sinnen, können wir stolz behaupten:

Natürlich weiß ich, welche der unendlich vielen verschiedenen Methoden der Mittelwertbildung ich anwenden muss! Ich kennen sogar eine Mittelwertungleichung und kann sie per Induktion beweisen!

Hier folgen also nur noch ein paar einzelnen Anmerkungen, die natürlich all denen, die über Nacht zu Mathematikexperten geworden sind, schon längst klar waren.

Samstag, 9. November 2019

Die reformierte Mathematik – Endliche algebraische Körper

0. Was passiert hier?

Wie im Auftakt-Beitrag erläutert, möchte ich gerne einigen Aussagen der reformierten Mathematik auf den Zahn fühlen.  In diesem Artikel hier möchte ich mich der Theorie algebraischer Körper widmen, die in Abschnitt 7 versucht wurde, zu widerlegen.

Die reformierte Mathematik – Auftakt

Vor wenigen Tagen habe ich meinem Uni-Kollegen davon berichtet, was Peter Plichta so veröffentlicht hat. (Ihr erinnert euch sicherlich: eine umfassende Mystifizierung der Zahlen 1, 2 und 3 und aller natürlichen Zahlen, die weder durch 2 noch durch 3 teilbar sind.) 

Im Zuge dessen sind wir einigen Links gefolgt und dabei auch auf die durchaus interessante Abhandlung An Editor Recalls Some Hopeless Papers gestoßen. In ihr versucht ein Editor zu verstehen, warum um Togs Namen so viele mathematische Laien (meist mit philosophischer Grundausbildung) versuchen, ausgerechnet Cantors zweites Diagonalargument zu zerlegen – und dabei kläglich scheitern. Ein Grund dafür war, dass sie nicht einmal das Argument selbst angegriffen haben. In den Worten des Autors:
It was surprising how many of our authors failed to realise that to attack an argument, you must find something wrong in it.
Dieses Diagonalargument und die Unfähigkeit, in ihm etwas Falsches zu finden, soll im Laufe dieser Artikel-Serie auch noch thematisiert werden. Doch um was geht es? Um nichts weniger als die Reformation der Mathematik! Dieses Vorhaben haben wir hinter einem weiteren Link gefunden, der uns auf die Website mathe-neu.de geführt hat. Und dort steppt der Bär! Oder, um es in den Worten von Peter Kepp, dem Mastermind hinter dem Projekt, zu sagen:
Studenten der Naturwissenschaften!
Akzeptiert nicht die hier widerlegten Aspekte des Faches, die euch als Mathematik gelehrt werden! [...] In euren Händen liegt die Zukunft. Vermittelt, wenn ihr die Ämter besetzt, die widerspruchsfreie Lehre. Bleibt der wahrhaften Erkenntnis verbunden — bitte!
Da wird man als Student der Mathematik, wie ich es wohl lebenslang sein werde, natürlich hellhörig. So eine Widerlegung grundlegender mathematischer Aspekte wäre eine gigantische Sache! Man hätte die Möglichkeit, so viel Neues über die Welt zu lernen, und die Langeweile wäre für einige Jahre völlig verschwunden. Hinzu kommt, dass es nicht einmal Randaspekte sind, die angeblich widerlegt wurden, sondern elementare Grundbausteine, die in jedem Grundstudium vorkommen. Im Einzelnen wird versucht, die folgenden Dinge zu widerlegen:
  • die imaginäre Einheit
  • das schon angesprochene Diagonalargument mit all seinen Folgen
  • die (empirisch) schönste Formel der Mathematik
  • die Wohldefiniertheit des kleinsten algebraischen Körpers
Ja, es wird sogar der Versuch unternommen, Grundrechenarten und Wurzelfunktionen neu zu definieren, damit endlich alles seine Richtigkeit habe. Welch interessantes Vorhaben, das uns zu so mancher Erkenntnis führen wird.

Doch der Leser sei gewarnt! Es genügt natürlich nicht, die Aussagen der reformierten Mathematik einfach hinzunehmen. Genauso, wie deren Autor die Mathematik kritisch geprüft hat, ist es unsere Aufgabe, im Gegenzug eine Prüfung der reformierten Mathematik durchzuführen. Auf diesem Weg werden wir drei Dinge lernen:
  1. Die reformierte Mathematik ist nicht haltbar. Die ausgemachten vermeintlichen Widersprüche innerhalb der Mathematik sind keine. Etwas Falsches in der Mathematik wurde nicht gefunden. (Das beruhigt!)
  2. Mathematik ist interessant und weitläufig, doch auch schwierig. Einige ihrer grundlegenden Konzepte werden wir besser verstehen, nachdem wir sie besprochen haben.
  3. Menschen können sich irren. Wir werden einige Fehlannahmen und die Psychologie dahinter (von mir charmant auf Küchentischniveau vorgetragen) kennenlernen.
Der Ablauf ist dabei in der Mathematik Gang und Gebe: 
  1. jemand hat eine neue Idee, die zu einem Widerspruch führt, 
  2. andere prüfen diese Idee, 
  3. und am Ende findet man gemeinsam den Fehler – entweder in der Idee oder in der bisherigen Theorie oder (was besonders interessant ist) in beiden. (Die vierte Möglichkeit, dass alle tadellos gearbeitet haben und es dennoch zu einem Widerspruch kam, ist per Definition nicht möglich.)
Am Ende verbleibt ein widerspruchsfreier Text und das befriedigende Gefühl, etwas gelernt zu haben. Was kann es Schöneres geben?

[Nachfolgend die Übersicht aller Artikel in dieser Serie:
Diese können im Wesentlichen in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.]

Montag, 23. Oktober 2017

Ich, der Troll

Ich frage mich seit längerer Zeit, wie man es schaffen kann, im Internet eine konstruktive Diskussion zu führen. Den Pessimisten, die meinen, sowas gelänge nicht, möchte ich mich dabei nicht anschließen, auch wenn es in der Tat eine Seltenheit ist, übers Internet die Meinung eines anderen zu ändern. Denn es gibt positive Beispiele! Letztens habe ich sogar über das emotionale Thema "Todesstrafe" diskutiert, und es wurden sachlich Argumente für und wider ausgetauscht. Doch es gibt auch negative Beispiele, die ich in einem Diskussionsleitfaden verarbeitet habe.

Nun ist es gerade bei emotional aufgeladenen Themen schwer, bei Kontroversen nicht sofort zu blockieren. Heute war es gar so weit, dass ich schon nach wenigen Worten als Troll abgestempelt wurde. (Und wenngleich es mir Freude bereitet, ab und zu den Advocatus Diaboli zu spielen, habe ich hier anfangs nichts weiter getan, als meiner ehrlichen Meinung Ausdruck zu verleihen, und diese später durch leicht-provokante Fragen zu unterstützen.) Wie es dazu kam, möchte ich einmal dokumentieren. (Einfach so und ohne jetzt allzu selbstkritisch zu sein. Die Kritik an mir darf gerne in den Kommentaren nachgeholt werden ;)