Montag, 23. Oktober 2017

Ich, der Troll

Ich frage mich seit längerer Zeit, wie man es schaffen kann, im Internet eine konstruktive Diskussion zu führen. Den Pessimisten, die meinen, sowas gelänge nicht, möchte ich mich dabei nicht anschließen, auch wenn es in der Tat eine Seltenheit ist, übers Internet die Meinung eines anderen zu ändern. Denn es gibt positive Beispiele! Letztens habe ich sogar über das emotionale Thema "Todesstrafe" diskutiert, und es wurden sachlich Argumente für und wider ausgetauscht. Doch es gibt auch negative Beispiele, die ich in einem Diskussionsleitfaden verarbeitet habe.

Nun ist es gerade bei emotional aufgeladenen Themen schwer, bei Kontroversen nicht sofort zu blockieren. Heute war es gar so weit, dass ich schon nach wenigen Worten als Troll abgestempelt wurde. (Und wenngleich es mir Freude bereitet, ab und zu den Advocatus Diaboli zu spielen, habe ich hier anfangs nichts weiter getan, als meiner ehrlichen Meinung Ausdruck zu verleihen, und diese später durch leicht-provokante Fragen zu unterstützen.) Wie es dazu kam, möchte ich einmal dokumentieren. (Einfach so und ohne jetzt allzu selbstkritisch zu sein. Die Kritik an mir darf gerne in den Kommentaren nachgeholt werden ;)

Freitag, 13. Oktober 2017

Diskussionsleitfaden

Es ist passiert. Ich bin auf meinen Meister gestoßen, der es geschafft hat, mir in unnachgiebiger Detailarbeit nicht nur einen Irrtum nachzuweisen, sondern mein ganzes wirres Gedankengebäude zum Einsturz zu bringen, und mich bockig und uneinsichtig davonziehen ließ.

So denkt er zumindest.

Da ich befürchte, mich in analogen Situationen, in denen ich mir meiner sicher bin, unabsichtlich ähnlich zu verhalten, halte ich hier ein paar Diskussionsregeln fest. Selbstkritik ist wichtig (auch wenn sie in diesem Fall nicht nur eine Auflistung von unbeteiligten Ideen, sondern Kritik an anderen ist, die es tatsächlich geschafft haben, mir, dem Mathematiker, der selbst an unwichtigen Details Interesse zeigt, den Spaß am Diskutieren zu nehmen).

(Ja, dieser Artikel dient auch dem Frustrationsabbau. Menschen können ja so anstrengend sein!)

Kleiner Leitfaden zur Diskussion


Goldene Regel


Sei konstruktiv. Wir alle sterben irgendwann, für Quatsch haben wir keine Zeit.

Samstag, 27. Mai 2017

Eine Richtungsfrage

Schach, wenngleich nicht so komplex wie Go, ist ein schöner Zeitvertreib für zwischendurch. Erstaunlicherweise interessiert es mich nur in zwei Fällen:
  1. Wenn ich Blitzschach spiele – es ist mir einfach zu mühsam, für ein Spiel stundenlang zu grübeln, was nun der beste Zug sein könnte. Ich entspanne lieber, indem ich meine spontanen Gedanken zu Wort kommen lasse.
  2. Wenn ich ein Schachrätsel löse – denn das ist, anders als eine beliebige Spielsituation, garantiert exakt lösbar, dennoch knifflig, und meist interessant.
Ich könnte noch einen dritten Punkt anführen, nämlich die Betrachtung von Variationen des Schachs, wie etwa 3D-Schach, aber da ich es in den letzten vier Jahren nicht geschafft habe, ein solches Schachbrett (oder ist das dann ein Schachbaum?) zu bauen, obwohl ich mir schon Pläne besorgt hatte, scheint mich das dann doch nicht so sehr zu reizen.

Nun wäre es wenig illustrativ, euch eine meiner (seltenen) Blitzschachpartien zu zeigen, aber interessante Schachrätsel passen schon eher auf diesen Blog. So etwa dieses:

Hat Weiß von oben nach unten oder von unten nach oben gespielt?




Sonntag, 12. März 2017

Gute-Nacht-Periodizität

0. Vorgeplänkel

Mathematische Begriffe werden mitunter ziemlich komisch, wenn man ihre Grenzen auslotet. Man kennt das von stetigen Funktionen, die so viele Ecken haben, dass sie nirgends differenzierbar sind, oder von stetigen Funktionen, die fast überall konstant sind und dennoch steigen. Solche Ergebnisse verwundern, doch hat man sich daran gewöhnt, dass erstaunliche Effekte auftreten, wenn man von der anschaulichen Formulierung, einen Funktionsgraphen ohne Abzusetzen zeichnen zu können, zur modernen Formulierung $$\forall x~\forall \varepsilon > 0~ \exists \delta > 0~\forall y \in B_\delta(x): f(y) \in B_\varepsilon(f(x))$$ übergeht (wobei $B_r(x) = (x-r,x+r)$ das Intervall bzw. die Kugel um $x$ mit Radius $r$ ist). Stetigkeit scheint nunmal ein Begriff zu sein, der viele Möglichkeiten offen lässt. Nicht so wie elementarere Begriffe, wie zum Beispiel die Periodizität oder die Additivität. Zur Erinnerung:

Eine reelle Funktion $f\colon \mathbb R\to\mathbb R$ heißt
  • periodisch, wenn es eine Zahl $t> 0$ gibt (die Periode genannt wird), für die für alle x stets $f(x+t) = f(x)$ gilt;
  • additiv, wenn für alle $x$ und $y$ stets $f(x+y) = f(x) + f(y)$ gilt.
Diese Begriffe sind so anschaulich definiert, dass man keine Überraschungen erwarten muss, oder? Wie man sich doch täuschen kann!

Mittwoch, 8. März 2017

Phantastische Logik – über den Spaß an der Abstraktion

0. Kontext

Schaut mal, hier gibt es den Aufruf zu einer Blogreihe, in der erklärt wird, warum manche Autoren reale Probleme in einem phantastischen Gewand präsentieren. Es wird nach Themen wie "Rassismus, Diskriminierung, Willkür" Ausschau gehalten, die teils seit Jahrzehnten durch die Welt geistern und die all jene, die solche Blogbeiträge lesen, in der Regel sowieso schon als Übel identifiziert haben. Ich könnte mich gut in den Kanon einreihen und besipielsweise erläutern, wie leicht Figuren scheitern, wenn sie ihr Wissen und Können überschätzen, doch gibt es ein Thema, das von größerer gesellschaftlicher Relevanz ist. Kaum jemand wird es a priori als Übel anerkennen, zumal die meisten selbst davon betroffen sind, doch möchte ich versuchen, es ein wenig zu erläutern und wieso ich nicht müde werde, es in meine Texte einzuarbeiten.

1. Muster

Jeder Mensch besitzt ein evolutionäres Erbe, das ihn dazu befähigt, in Sekundenschnelle zu erkennen, was um ihn herum geschieht. Es war früher schlicht überlebenswichtig, schnell zwischen einem Baum und einem Raubtier zu unterscheiden. Damit das Gehirn dieses Meisterwerk vollbringen kann, identifiziert es Muster und achtet darauf, wann, wo und unter welchen Umständen sie auftreten. Heutzutage hilft uns dieses Erbe, in einer verwirrend komplexen Welt Schritt zu halten, aber es begründet auch, weswegen wir Spaß daran haben, Muster zu erkennen.
  • Wir mögen es, in verwickelte Beziehungsgeschichten einzutauchen,
  • wir raten bei Krimis und Detektivgeschichten eifrig mit, wer warum der Mörder ist,
  • wir kennen eine Vielzahl von Spielen, bei dene es darauf ankommt, ein Rätsel zu lösen oder die Gedanken der Mitspieler anhand ihrer Spielzüge zu erraten.
"Ich denke, also bin ich." Das bezieht sich nicht nur auf das Erkennen des eigene Seins, sondern auch auf das Ausleben der eigenen Veranlagung. Der Mensch ist nicht nur ein Tier, das in den Tag hinein lebt; er ist ein denkendes Tier, dessen Gehirn – aus evolutionären Gründen Freude daran empfindet, Muster zu erkennen und verborgene Zusammenhänge aufzudecken.

2. Hass

Es ist mittlerweile gesellschaftlich tragfähig geworden, jemanden direkt ins Gesicht zu sagen, dass man das, was ihm Freude bereitet, abgrundtief hasst. Na gut, es muss eines von schätzungsweise drei Kriterien erfüllt sein:
  • Es muss sich um eine Freude handelt, die die Gesellschaft zersetzt: "Ich hasse Rassismus!",
  • eine Freude, die jemanden in seiner Freiheit einschränkt: "Ich hasse Radarkontrollen!",
  • oder einer Freude, mit der man nichts anzufangen weiß: "Ich hasse Dirigieren!".
Bei dem ersten Punkt sind wir uns sicherlich alle einig (ich verweise auf die anderen Themen der Blogreihe), bei dem zweiten fangen wir an, zu ergründen, wieso Radarkontrollen vielleicht manches Mal ärgerlich sind, aber dennoch gesellschaftlich zu begrüßen sind, und beim dritten Punkt, da ist völlig klar, dass eine Tätigkeit nicht nur deswegen verdammen können, weil wir sie nicht beherrschen. Es sei denn, ja, es sei denn, wir haben damit in der Vergangenheit leidvolle Erfahrung gemacht:
  • Wer nicht singen kann, aber in der Schule vorsingen musste, dem wird es leicht fallen zu sagen, dass er das Singen hasst, selbst wenn er gerne Musik hört. Er meint damit, dass er es hasst, selbst zu singen doch die Musik, die mag er.
  • Wer nun in der Schule wiederholt im Mathematikunterricht festsaß und dort sinnlose Aufgaben rechnen musste, dem wird es leicht fallen zu sagen, dass er das Rechnen hasst, und er wird damit meinen, dass er es hasst, selbst zu rechnen doch er wird in der Regel noch weit darüber hinausgehen und voller Überzeugung sagen: "Ich hasse Mathematik!"
Dieser Hass, der in Teilen durchaus begründet, aber im Ganzen unbegründet ist, ist es, dem ich begegnen möchte. (Nicht aus reinem Selbstzweck, sondern um die Gesellschaft voranzubringen.)  Bevor ich sage, wie ich das angehe, muss ich erklären, was genau ich angehe.

3. Mathematik

Hass schöpft sich oft aus Unkenntnis, deswegen ist es ein guter Anfang, die Mathematik näher vorzustellen. Sie gleicht kaum dem Bild, das diejenigen von ihr haben, die sie nur aus der Schule kennen. Dort wird man, so will es der Lehrplan, dazu ausgebildet, sturr Zahlen in Gleichungen einzusetzen, diese nach festen Algorithmen umzuformen, und am Ende einen Antwortsatz zu verfassen. Wieso man diese Rechnungen durchführt und – noch viel wichtiger – wieso die Algorithmen zum gewünschten Ergebnis führen (und wann dies nicht der Fall ist), wird hingegen kaum gelehrt. Dies jedoch ist das Herz der Mathematik, die es ihr erlauben, genau das Gegenteil davon zu sein, was man vielerorts erwartet:

Die Mathematik ist die Wissenschaft davon, das Rechnen zu vermeiden

Diese Definition trifft freilich nicht den Kern, aber ich mag sie, weil sie wunderbar den Gegensatz der öffentlichen Meinung zur eigentlichen Sache darstellt. Mathematiker sind keine Menschen, deren größte Freude es ist, Gleichungen umzustellen und vielstellige Zahlen im Kopf zu dividieren. Letzteres gelingt nur wenigen, und ersteres ist schlicht nützliches, nicht aber notwendiges Handwerkszeug. (Ähnlich, wie es nützlich, aber nicht notwendig ist, Noten lesen zu können, wenn man singen möchte.) Wenn ein Mathematiker aber nicht rechnet, was macht er dann? Er untersucht Muster, denn:

Die Mathematik ist die Wissenschaft der Muster

Diese Definition klingt recht wage: "Muster", das kann nahezu alles sein, doch die Mathematik beschäftigt sich auch mit nahezu allem. Dazu muss sie freilich jedwedes Objekt erst in ihren Wirkunsbereich transferieren. Das Zauberwort, das nun endlich auftaucht, ist "Abstraktion". Dieses sagenumwobene Wort steht für eine ungemein nützliche Idee: Jedes reale Objekt ist so unfassbar kompliziert, dass man es nie in Gänze verstehen wird. Betrachtet man jedoch nur seine relevanten Eigenschaften (welche das sind, hängt freilich vom Kontext ab) und poliert sie solange, bis sie sich einfach darstellen lassen, so ist die Chance groß, dass man das verbleibende Konstrukt verstehen kann. Der mathematische Dreiklang sieht somit so aus:
  1. Abstrahiere von einem Objekt auf eine Sammlung einfacher Regeln.
  2. Untersuche die Eigenschaften des so gebildeten abstrakten Musters.
  3. Übertrage die neue Erkenntnis auf das ursprüngliche Objekt.
Wenn man es genau nimmt, ist nur der zweite Punkt Mathematik. Um die Regeln unter 1. zu erkennen und um zu überprüfen, ob die Erkenntnisse unter 3. wirklich passen, braucht es im einfachen Fall lediglich etwas gesunden Menschenverstand, im komplizierten Fall aber geeignete Wissenschaften, die sich auf die Realität beziehen. Halten wir also fest:

Die Mathematik ist die Wissenschaft der abstrakten Muster

Wie jede Wissenschaft treibt auch die Mathematik ihre einfachen Grundprinzipien so weit, bis nur noch wenige Experten in der Lage sind, den aktuellen Forschungsstand in einem klitzekleinen Teilgebiet zu verstehen. Es kümmert sie dabei nicht einmal, wenn die untersuchten abstrakten Muster keine (bekannte) reale Entsprechung haben. Um Spaß an der Mathematik zu haben, muss man sich jedoch keinesfalls mit Differentialgleichungen oder dergleichen befassen. Es genügt völlig, sich seinem menschlichen Urtrieb hinzugeben: Muster zu erkennen und zu verstehen.


4. Darstellung

Spaß an der Abstraktion ist eine vielfach unverstandene Empfindung, darum tritt die Mathematik für gewöhnlich in einem von zwei möglichen Zerrbildern auf:
  • Ein Kind berichtet frustriert von seiner Fünf in Mathe und alle Umstehenden pflichten ihm bei, dass Mathe schließlich nur etwas für Streber wäre (oder sie behaupten gleich unreflektiert, dass sie Mathe per se hassen würden) – das führt sicherlich zu Sympathie auf Seiten des Lesers.
  • Ein Wissenschaftler, meist nicht reiner Mathematiker, sondern Physiker, damit er nahbarer ist, erklärt mithilfe der Mathematik die Geheimnisse der Welt, ohne dass man als Leser seine Gedankengänge nachvollziehen könnte – das vereinfacht dem Autor die Auflösung des Falls.
Der erste Punkt ist ebenso verwerflich wie andere Klischees. Es mag Zeit und Ort dafür geben, vor allem, um einen Kontrast zum späteren Handlungsverlauf aufzubauen oder eine Nebenfigur schnell zu charakterisieren. Oft aber sind sie lediglich Ausdruck mangelnder Kreativität und obendrein verstärken sie bestehende Vorurteile. Autoren, das könnt ihr besser!

Der zweite Punkt ist ebenso klischeehaft, aber wenigstens werden die Mathematiker nicht mehr generall als pickelige Streber dargestellt, sondern nur noch als speziell. Der Autor muss sich jedoch bemühen, den Mathematiker nicht nur als bequemen Deus ex Machina zu missbrauchen, der plötzlich aus kleinsten Andeutungen heraus alles erschließt. (Im Übrigen ist Mathematik eine langwierige Tätigkeit, in der Geistesblitze wie überall sonst rar gesät sind.) Autoren, auch das könnt ihr besser!

Selten sieht man einen normalen Menschen (oder ein anderes Wesen), der sich im Alltag mit mathematischen Fragestellungen befasst. Möglicherweise ist es langweilig, über Dreiecke zu schreiben, wenn man auch eine fesche Sex- oder Meuchelmörderszene einbauen kann, aber ich denke, der eigentliche Grund ist, dass sich die wenigsten Menschen (und auch die wenigsten Autoren) vorstellen können, dass andere Leute einfach so in ihrer Freizeit über abstrakte Muster nachdenken oder damit eine Aufgabe lösen. Mathematik hasst man oder man geht völlig in ihr auf, eine andere Möglichkeit ist nicht vorgesehen. Ein drittes Mal: Autoren, das könnt ihr besser!

5. Realität

Zurecht wird man nun fragen, wieso man kleine abstrakte Muster in einen Text einbauen sollte, wenn man sie auch einfach weglassen kann. Selbst das Argument, nicht in Extremen zu verweilen, zieht hier nicht, wenn ein normaler Menschen, der Mathematik mag, als größtes aller Extreme aufgefasst wird. Es steht sogar der Vorwurf im Raum, ich würde lediglich mein eigenes Fachgebiet in ein gutes Licht rücken wollen, was mir selbst erlaubt ist, anderen aber nicht überzeugen wird. Man kann über so vieles schreiben, wieso also über ein Fachgebiet, das mit der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen nichts zu tun hat?

Weil Mathematik gesellschaftlich relevant ist

Es ist leicht, es sich gemütlich zu machen und der breiten Masse zu folgen, die in der Mathematik für den Alltagsmenschen lediglich nervtötendes, stumpfes Rechnen sieht und für den Experten ein mächtiges Werkzeug, das zu kompliziert ist, um es zu verstehen. Wir wissen es jedoch besser: sie ist die Wissenschaft der abstrakten Muster. Sie abstrahiert von komplizierten Objekten zu einfachen Strukturen, die man verstehen kann, ohne sich auf das Bauchgefühl verlassen zu müssen. Kenntnisse über reelle Zahlen, algebraische Geometrie und lokal-konvexe Räume sind für die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in der Tat völlig irrelevant, aber ein sauber Umgang mit der Abstraktion ist umso notwendiger, je komplizierter die Welt wird – nur so kann man sie effektiv verstehen. Daher genauer:

Weil abstraktes Denken gesellschaftlich relevant ist

Man braucht gar nicht so weit gehen und fordern, dass jeder versteht, wie ein Computerprogramm funktioniert (oder es gar selbst schreiben kann), um den Robotern nicht die Zukunft zu überlassen. Unsere Welt ist auch jetzt schon kompliziert genug, um nicht auf plumpe Bauchentscheidungen vertrauen zu können. Es ist nicht verkehrt, den automatisch erzeugten, induktiv gewonnenen Heuristiken zu vertrauen, die uns durchs Leben steuern. Man muss jedoch stets wissen, an welcher Stelle die Maschine Mensch (nachweisbar!) fehleranfällig ist. Ohne bewusstes Denken läuft die Menschheit Gefahr, an ihrem Unterbewusstsein zugrunde zu gehen.

Eine Gesellschaft kann überleben, ohne eine exakte Definition der natürlichen Zahlen oder eines Kreises zu besitzen. Auch ist es irrelevant, ob ein Staatsmann in der Lage ist, zwischen Sekante und Tangente zu unterscheiden. Es ist kein Geheimnis: die einfachsten Muster der Mathematik helfen wenig, um die Welt zu verstehen aber dafür sind sie auch gar nicht gedacht.

Einfache abstrakte Muster dienen als Übung

An ihnen kann man verstehen, wie Argumente funktionieren. Wie man A mit B begründet und zugleich C ausschließt. Man lernt, andere zu überzeugen, sich klar auszudrücken und auch, eigene Fehler einzugestehen. Man hat eine Spielwiese für das Gehirn, auf der es, ohne jemanden schaden zu können, frei experimentieren kann. Dort lernt es, die Wirklichkeit zu klassifizieren, Zusammenhänge aufzudecken und gezielt eine konsenfähige Erkenntnis zu erlangen.
 
6. Phantastik

Was kann nun den geneigte Autor tun, um hier zu helfen, den Menschen das abstrakte Denken angenehmer zu gestalten? Dasselbe, wie bei allen anderen Themen, die ihm am Herzen liegen: Sie durch seine Worte in die gesellschaftliche Mitte zu schieben, indem alte Klischees nicht verstärkt werden und indem Anreize geschaffen werden, sich mit einfachen abstrakten Strukturen zu befassen.

In der Phantastik beschreibt man keine langweiligen Dinge, sondern unerhörte Begebenheiten, die den Leser fesseln. Eine trockene Abhandlung über gleichschenkliche Dreiecke ist da sicherlich fehl am Platz. Allerdings ermüden auch ständige Extreme. Weder totale Versager noch Genies sind interessant – und obendrein sind sie unrealistisch. (Das gilt sicherlich für alle Eigenschaften, nicht nur für das mathematische Verständnis.) Ein lohnenswertes Ziel ist es daher, den eigenen Charakteren Eigenschaften zuzuschreiben, die ihn in die Lage versetzen, Probleme des (phantastichen) Alltags zu lösen. An dieser Stelle ist Kreativität gefragt – doch ich bin mir sicher, dass diese reichlich vorhanden ist.

Man braucht auch keine Angst zu haben, den Leser durch abstrakte Muster abzuschrecken. Vielfach hält sich die Meinung, dass abstrakt automatisch kompliziert und unverständlich wäre. Dem ist aber nicht so: Abstraktion ist der Verzicht auf komplizierte Eigenschaften und die Konzentration auf das Wesentliche. Dadurch werden Dinge einfacher, gar so einfach wie möglich. Das einzige Problem ist die fehlende Vertrautheit mit solchen Konzepten. Man kann eine Zahl nicht anfassen wie einen Apfel, und auch einen perfekten Kreis kann man sich nur vorstellen, nicht aber zeichnen. Dennoch wissen wir alle, wie man zählt und wie ein Kreis ausschaut – eben weil unser Gehirn so unfassbar gut darin ist, abstrakt zu denken. Jeder, der weiß, wie man einen Stuhl von einem Sessel unterscheidet, obwohl es ihm nie explizit gesagt wurde, kann auch alle anderen abstrakten Konzepte verstehen. Alles, was er braucht, ist Übung.

Die Aufgabe des Autors ist, auf einem geeigneten Abstraktionslevel einzusteigen. Dabei kommt es gar nicht so sehr auf den Leser an – dieser wird sich diejenigen Geschichten suchen, die seinem Niveau entsprechen (es kann dennoch nicht schaden, ihn an die Hand zu nehmen oder ihm explizit zu erlauben, manche Stellen zu überspringen). Wichtiger ist, dass der Autor nur solche Konzepte verwenden, mit denen er vertraut ist. An einer unsachgemäßen Darstellung (die inhaltlich über die bloße Behauptung einer unglaublichen Tatsache hinaus geht) hat niemand eine Freude und sie schadet viel mehr, als sie nützt. Doch habt Mut, abstrakte Muster in eure Texte einzubauen, der Leser darf auch gefordert werden.

7. Mein Beitrag

Ich selbst übertreibe es gern ein wenig mit der Darstellung logischer Muster, was freilich daran liegt, dass ich mich beruflich damit befasse. Damit gebe ich eher denjenigen, die schon von der Schönheit abstrakter Muster überzeugt sind, ein paar Texte zum Lesen, als ich diejenigen überzeugen würde, die in der Schule völlig vergrault wurden. Vieles versauert auch in Schubladen oder gehört endlich mal überarbeitet, ein paar Anregungen kann ich dennoch geben.

In einer meiner Geschichten wandelt der Protagonist durch eine mathematische Wunderwelt, die voll von Anspielungen auf bekannte Themen der mathematischen Unterhaltung ist, bis er sich am Ende in einer Art Koordinatensystem wiederfindet. Traumähnliche Zustände sind generell eine gute Möglichkeit, um abstrakte Muster einzubringen – wir erinneren uns: sie haben es an sich, dass man sie schlecht anfassen kann. Personifizierungen leisten dann einen guten Dienst.
 
In einem Theaterstück, das aus dieser Geschichte geboren wurde, stellen die Figuren mit ihren Körpern und Bändern vierdimensionale Würfel und Symmetrien einer Pyramide dar, zudem nutze ich reichlich Fußnoten, um Dinge zu erklären, die man sonst nur in Lehrbüchern findet. (Merke: Sollte solch ein Stück jemals aufgeführt werden, könnten die Besucher den Fußnoten nicht entfliehen.)
Es ist auch nicht verkehrt, hie und da einen Fachterminus in fremder Bedeutung einfließen zu lassen, um den Kenner zum Schmunzeln zu bringen. Geeignet sind auch kleine Gedichte, die die uns bekannte Welt mit der mathematischen verbinden. So kann man darüber reden, wie man Socken aus einer Schublade zieht oder wie man Geraden klassifiziert. Manchmal ist Knecht Ruprecht auch einfach nur ein Kreis.

Apropos Kreis: Sind die Figuren einer Geschichte mathematischer Natur, so kann man sie Dinge anstellen lassen, die für normale Wesen völlig unglaubwürdig wären. Ein Kreis kann somit einfach so an einer Fläche haften, eine Zahl kann sich ihre Nachkommastellen abschneiden und neu sprießen lassen, und Punkte können auf endlichem Raum in unendlicher Anzahl vorkommen. Es gibt so viele Möglichkeiten zu erkunden!

Baut man einen Menschen ein, der Ahnung von Mathematik hat, kann dieser über wirkliche Mathematik reden, die er in eine kleine Geschichte verpackt. So kann er den Allquantor erklären oder begründen, wer wem die Hand gegeben hat. Auch kann er einfach nur ein paar Späße machen, die vielleicht zum Nachdenken anregen oder metaphorisch die Grundlagen der Mengenlehre einführen. Abstraktere Figuren können sich selbst in einem mathematischen Rätsel wiederfinden, das für gewöhnlich eher weltfremd wirkt, durch einen lebendigen Protagonisten aber massiv an Spannung gewinnt.

Abgesehen von Geschichten mit explizit mathematischen Inhalten kann man natürlich auch die Methode der abstrakten Muster nutzen, um eine Kurzgeschichte auf den Punkt zu bringen. Eh man lang und breit über Gefühle redet und den Sonnenaufgang beschreibt, kann man sich auch auf das wesentliche beschränken und damit der Geschichte einen weiteren Wirkungsspielraum geben. Die mathematische Art, einen Text zu schreiben, ist allerdings ein Thema, das ich an anderer Stelle besprechen werde.

8. Fazit

Abstrakte Muster sind nicht so kompliziert, wie man denken mag, und sie kommen ganz ohne nervige Rechnerei aus. Es ist durchaus wünschenswert, diese Erkenntnis zu verbreiten und darauf hinzuwirken, sich aus reinem Spaß an der Freude mit solchen Mustern zu beschäftigen. Man gibt seinem Gehirn etwas zu tun, fühlt sich wohl, wenn man etwas verstanden hat, und mit ein bisschen Glück wird man sogar zu einem besseren Menschen, der die Welt retten wird.

Sonntag, 19. Februar 2017

Ein Sockenproblem

Sockenprobleme tauchen in vielen Varianten auf, sind sie doch so schön anschaulich und zugleich so offensichtlich weltfremd, dass jederman erkannt, wieso man diese Aufgaben stellt: um sich in der Mathematik zu üben. Abstraktion führt zu einfachen Aufgaben, reale Bedingungen führen oft nur zu unfassbar umständlichen Rechnungen ohne Mehrwert. Am folgenden Beispiel sieht man dies in extremer Weise.

1. Aufgabe

Du bist bei einem exzentrischen Mathematiker angestellt, der dir aufträgt, seine Sockenschublade so mit roten und schwarzen Socken zu füllen, dass er, wenn er blind zwei Socken herausfischt, im Schnitt jeden zweiten Tag zwei rote Socken zieht. Wie stellst du es an?

2. Eine intuitive Idee

Ich lege einfach doppelt so viele rote wie schwarze Socken in die Schublade und dann passt das schon.

Samstag, 18. Februar 2017

Stochastik zum Angucken


Es ist schon erstaunlich. Obgleich kaum jemand weiß, wie Wahrscheinlichkeiten zu berechnen sind, erfreuen sich Rätsel, in denen Wahrscheinlichkeiten verglichen werden müssen, recht großer Beliebtheit. Das Vertrauen der Menschen in ihre Intuition ist so stark, dass sie sich gerne an einer Antwort versuchen und an dieser festhalten, selbst wenn ein Mathematiker daher kommt und meint, sie wäre falsch. Es sollen gar schon blutige Schlägereien an simplen Fragen entbrannt sein!

Hilft es aber, Fronten zu verhärten, indem man über diejenigen lacht, deren Eingebungen nicht direkt falsch sind, sondern sich auf eine andere Frage beziehen, oder umgekehrt über verkopfte, vermeintlich weltfremde Experten, deren Theorien nicht haltbar sind? Ich denke nicht. Besser wäre es doch, eine Aufgabe der Wahrscheinlichkeit intuitiv korrekt anzugehen. Also los!

Freitag, 27. Januar 2017

Was darf der, der Satire hört?

Bei meiner täglichen Pirsch durch facebook (ihr kennt es bestimmt, daher hier kein Link) bin ich über folgendes Bild gestolpert (dessen Urheber ich verpixelt hab, man weiß ja nie, Datenschutz und so; jedenfalls ist es nicht von mir, aber das wäre eigentlich auch egal):


Nachdem ich den Text mit dem Bild in Einklang gebracht hatte (das hat in der Tat länger gedauert, als es hätte dauern sollen) und schmunzeln musste, kam in mir der Nörgler durch, der sich mal wieder aufregen musste (und es auf facebook auch tat). Was war mein Problem?

1. Was es nicht war (ich stelle gerade fest, dass ich neuerdings zu Beginn meiner Rede erstmal ausschließe, worüber ich nicht rede - ist das normal?)
  • Ich bin kein Unterstützer von Trump oder ähnlich getackteten Menschen, weswegen es mich nicht stört, dass Spruch nebst Bild ihren Effekt auf seine Kosten gehen.
  • Ich mag auch das Recht auf freie Rede und Meinungsäußerung (schon allein deswegen, weil ich ohne es ziemlich schnell anecken würde, muss ja auch an mich denken).
  • Und knappe Sprüche dürfen gerne zugespitzt sein, ja, müssen es wahrscheinlich auch, um überhaupt ausreichend wahrgenommen zu werden. Ganz gleich, ob der Mensch nun Satiriker oder Privatmensch ist (ich habe nachgeschaut: er steht irgendwo dazwischen): prinzipiell darf man erstmal alles (wobei Verallgemeinerungen nie toll sind, und auch hier versteht sich von selbst, dass die Grenzen im geltenden Recht liegen - diese Fall ist von diesen Grenzen allerdings sehr weit entfernt).
2. Was es dann war

Der erste Impuls war der folgende (und das ist der Text, den ich auf facebook hinterlassen habe, allerdings etwas abgeändert und geschönt, man gönnt sich ja sonst nichts):
  • Er behauptet, auf der reinen Faktenebene (was auch immer die heutzutage Wert sein mag), ein ziemlich starkes Stück: Frauen würden moralisch so weit oben stehen, dass sie niemals ein (nachteiliges) Gesetz verabschieden würden, dass Männern etwas über ihre Genitalien vorschreibt.
    Ist das haltbar? Auch unter den Frauen gibt es genügend Abtreibungsgegner, das ist keine Einstellung, die nur Männer befällt, und obgleich ein Mann natürlich nicht mit einer Leibesfrucht durch die Gegend rennen muss (zumindest im Normalfall), ist es von einem Abtreibungsverbot nicht weit zur Kastration (von Strafttätern oder vermeintlich Kranken zum Erhalt des reinen Volkes (was auch immer das wieder sein mag).
Diese Nörgelei ging einher mit einer kurzen Recherche, was Trump da eigentlich unterzeichnet hat: keine schöne Sache, bei der Deutschen Welle ausführlich und in ruhigem Tonfall dargestellt. Mich störte es also nicht, dass jemand auf diesen Akt aufmerksam macht, sondern wie er es tat. Erstmal nur auf reiner Faktenebene, aber eine zweite Erkenntnis lies nicht lange auf sich warten.



Ich wurde darauf hingewiesen, dass die Faktenebene hier (wie meist außerhalb der Mathematik) nicht die einzige relevante Ebene ist und auch nicht unbedingt die relevanteste. Man könne Spruch samt Bild auch als Metapher, Gleichnis, Hinweis (oder was auch immer der passende Begriff aus diesem Begriffsspektrum ist) dafür auffassen, dass Männer noch immer die Frauen unterdrückten und dass man das nicht aus den Augen verlieren sollte. Auch müsse man Frauen keine höhere Moral unterstellen, wenn man einfach nur davon ausgeht, dass Frauen in nächster Zeit nicht in eine solch machtvolle Position aufrücken (was ich allerdings auch bezweifle).

Diese Hinlenkung hin zu den Beziehungen zwischen den Geschlechtern (übrigens hab ich mir gestern ein 500 Seiten starkes Buch zum Thema senden lassen - falls ich es lesen sollte (und das steht nicht fest, da ich weit mehr Bücher als Lesezeit habe), werde ich mich auf dem Gebiet also bald grundlegend auskennen) brachte dann ein subtileres Problem ans Tageslicht. Ich umschrieb es ungefähr so:
  • Der verpixelte Mensch beschwert sich darüber, dass Männer ein Gesetz verabschieden, das direkt an Frauen gerichtet ist und über diese bestimmt.
    Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob allein die Frauen über ihre Leibesfrucht (ich mag dieses Wort) entscheiden sollten (schließlich gibt es auch einen Vater, auch wenn das Kind vollständig in der Frau steckt),
    und abgesehen davon, dass unter diesem Gesetz (Dekret, was auch immer der genaue Fachterminus ist) nicht nur schwangere Frauen, sondern auch andere Menschen (darunter auch Männer) leiden (Angehörige, ungewollte Kinder, Ärzte unter Zwang, Patienten, die nicht behandelt werden können, weil es kein US-Geld mehr für Kliniken gibt, die trotzdem Abtreibungen durchführen),
    ist dieses Argument sehr schwach: Irgendwelche Politiker denken sich laufend irgendwelche Gesetze aus, ohne zu der betroffenen Gruppe zu gehören. Dabei lassen sie sich (hoffentlich) von Leuten beraten, die mit dieser Gruppe vertraut sind, aber selbst müssen sie nichts damit zu tun haben, um ein gutes oder ein schlechtes Gesetz abzufertigen. Jeder kann Gesetze verabschieden, die jeden angehen. Die Frage ist, ob die Beratung gut war, was die Ziele sind, was die Auswirkungen. Darüber kann man fundiert reden und in diesem besonderen Fall gibt es einen so großen Haufen guter Argumente gegen das Gesetz (s. unter dem Link oben), dass ich nicht verstehe, warum man sich auf solche schwachen Argumente einlässt.
Das war der erste Punkt (und der zweite folgt gleich). Mich stört also, um das kurz zu fassen, dass man sich eines simplen Arguments bedient ("Man sollte nicht über Gruppen entscheiden, denen man nicht selbst angehört"), das pauschal nicht gilt, aber auch nicht unbedingt speziell ("Männergruppen sollten nicht über Frauengruppen entscheiden") oder noch spezieller ("Männliche, gewählte Politiker sollten nicht über Frauengruppen entscheiden"), wo es doch so viel bessere, klarer, spezifischere Argumente gibt. Neben der (vermeintlich) größeren Schlagkraft passender Argumente stieß mir dann auch die Pauschalisierung gewaltig auf:
  • Letztlich verfestigt so eine pauschale Aufteilung doch nur die Spaltung in Männer vs. Frauen: Männer, das sind die, die Gesetze gegen Frauen erlassen; Frauen, das sind die ohne Macht, die aber Ähnliches nie machen würden. (Das ist die zugespitzte Lehre (also das, was möglicherweise hängen bleibt) aus den Worten da oben.) Dabei fällt unter den Tisch, dass das nicht irgendwelche Männer sind, die da ein Gesetz unterschreiben, wie das jeder aus der Klasse "Männer" tun würde, sondern dass das Trump ist mit seinen Leuten (von denen viele Männer sind), der ein doofes Gesetz unterschreibt. Die Schlagrichtung ist also eindeutig: Richtung Trump, Richtung Vertreter einer christlichen Sexualmoral. Das ist viel spezifischer und damit klarer, als ganz allgemein Männer gegen Frauen in Stellung zu bringen.
Um es kurz zu fassen: Der Text gibt nicht wieder, was man in ihn vollumfänglich hinein interpretieren kann - und das ärgert mich. Mich stört nicht die politische Meinung auf einer der beiden Seiten, sondern diese pauschalisierende, unspezifische Art der Argumentation, die auf den kurzen Effekt bedacht ist, dabei jedoch Vorurteile verfestigt und am Kern der Sache vorbeigeht.


3. Fazit

Diese gesamte Geschichte, die so oder so ähnlich tausendfach stattfindet, ist letztlich nur ein Aufhänger für eine Erkenntnis, die nicht neu ist, aber (so scheint es mir) selten formuliert wird: Satire mag alles dürfen (wobei sich kein Satiriker dumpfer Beleidigung, falscher Tatsachenbehauptung oder gar Volksverhetzung bedienen muss - von ihm wird erwartet, mit Worten umgehen zu können), aber dem Konsumenten sind Grenzen gesetzt: Er darf darüber lachen, er darf sie vergessen, aber er darf sie nicht für bare Münze nehmen (und das geschieht öfter, als man denkt, immer wieder gut zu sehen auf facebook unter einem satirischen Beitrag).

Da die Satire zuspitzt, kommt dem Konsument die schwierigere Aufgabe zu, das Gehörte wieder zu entspitzen, abzuflachen. Viele verschiedene Bilder können zur selben Satire zugespitzt werden - wie aber findet man das ursprüngliche Bild? Was ist wahr, was falsch, was nur möglicherweise etwas von beidem? Der Konsument ist also dazu angehalten, über die Satire nachzudenken. Er muss sich klar werden, welche Argumente er teilt, welche nicht - und vor allem warum. Er muss sein Weltbild ordnen, Hintergründe in Erfahrung bringen, seine Deutung mit anderen abgleichen. Er darf sich nicht auf den satirischen Gipfel ausruhen, sondern muss den richtigen Weg hinab ins Tal finden und dabei viele Erkenntnisse aufsammeln. Sollte das nicht möglich sein, so darf er sich nicht auf den Gipfel führen lassen, denn dort ist es ungemütlich und er wird sterben (oder, in einer nicht ganz so schaurigen Metapher, zumindest nie wieder heim finden).

In diesem Sinne habe ich meinen selbstauferlegten Auftrag erfüllt: ich habe über den Spruch nachgedacht, ich hab das sogar dokumentiert, und nun bin ich mit mir im Reinen. Auch mal ein schönes Gefühl. 

Montag, 23. Januar 2017

Kugeldreiecke und regelmäßige Körper

Ich habe heute eine Rechenaufgabe für euch, und zwar, den folgenden Term zu kürzen: $$\frac{6(2(\arccos(-1/3) + 2\arccos(1/\sqrt3)-\pi))+ 8(3\arccos(1/3)-\pi)}{4\pi}.$$Das mag euch (was nur zu verständlich ist) als verschwendete Lebenszeit erscheinen, doch lasst euch gesagt sein: das Ergebnis ist eine ganz besondere natürliche Zahl!

Woher stammt dieser seltsame Term? Lasst es mich erklären (wie solltet ihr mich auch daran hindern, nicht wahr?) Er hängt zusammen mit Kugeln, Dreiecken, Raumwinkeln und platonischen Körpern: