Sonntag, 12. März 2017

Gute-Nacht-Periodizität

0. Vorgeplänkel

Mathematische Begriffe werden mitunter ziemlich komisch, wenn man ihre Grenzen auslotet. Man kennt das von stetigen Funktionen, die so viele Ecken haben, dass sie nirgends differenzierbar sind, oder von stetigen Funktionen, die fast überall konstant sind und dennoch steigen. Solche Ergebnisse verwundern, doch hat man sich daran gewöhnt, dass erstaunliche Effekte auftreten, wenn man von der anschaulichen Formulierung, einen Funktionsgraphen ohne Abzusetzen zeichnen zu können, zur modernen Formulierung $$\forall x~\forall \varepsilon > 0~ \exists \delta > 0~\forall y \in B_\delta(x): f(y) \in B_\varepsilon(f(x))$$ übergeht (wobei $B_r(x) = (x-r,x+r)$ das Intervall bzw. die Kugel um $x$ mit Radius $r$ ist). Stetigkeit scheint nunmal ein Begriff zu sein, der viele Möglichkeiten offen lässt. Nicht so wie elementarere Begriffe, wie zum Beispiel die Periodizität oder die Additivität. Zur Erinnerung:

Eine reelle Funktion $f\colon \mathbb R\to\mathbb R$ heißt
  • periodisch, wenn es eine Zahl $t> 0$ gibt (die Periode genannt wird), für die für alle x stets $f(x+t) = f(x)$ gilt;
  • additiv, wenn für alle $x$ und $y$ stets $f(x+y) = f(x) + f(y)$ gilt.
Diese Begriffe sind so anschaulich definiert, dass man keine Überraschungen erwarten muss, oder? Wie man sich doch täuschen kann!

Mittwoch, 8. März 2017

Phantastische Logik – über den Spaß an der Abstraktion

0. Kontext

Schaut mal, hier gibt es den Aufruf zu einer Blogreihe, in der erklärt wird, warum manche Autoren reale Probleme in einem phantastischen Gewand präsentieren. Es wird nach Themen wie "Rassismus, Diskriminierung, Willkür" Ausschau gehalten, die teils seit Jahrzehnten durch die Welt geistern und die all jene, die solche Blogbeiträge lesen, in der Regel sowieso schon als Übel identifiziert haben. Ich könnte mich gut in den Kanon einreihen und besipielsweise erläutern, wie leicht Figuren scheitern, wenn sie ihr Wissen und Können überschätzen, doch gibt es ein Thema, das von größerer gesellschaftlicher Relevanz ist. Kaum jemand wird es a priori als Übel anerkennen, zumal die meisten selbst davon betroffen sind, doch möchte ich versuchen, es ein wenig zu erläutern und wieso ich nicht müde werde, es in meine Texte einzuarbeiten.

1. Muster

Jeder Mensch besitzt ein evolutionäres Erbe, das ihn dazu befähigt, in Sekundenschnelle zu erkennen, was um ihn herum geschieht. Es war früher schlicht überlebenswichtig, schnell zwischen einem Baum und einem Raubtier zu unterscheiden. Damit das Gehirn dieses Meisterwerk vollbringen kann, identifiziert es Muster und achtet darauf, wann, wo und unter welchen Umständen sie auftreten. Heutzutage hilft uns dieses Erbe, in einer verwirrend komplexen Welt Schritt zu halten, aber es begründet auch, weswegen wir Spaß daran haben, Muster zu erkennen.
  • Wir mögen es, in verwickelte Beziehungsgeschichten einzutauchen,
  • wir raten bei Krimis und Detektivgeschichten eifrig mit, wer warum der Mörder ist,
  • wir kennen eine Vielzahl von Spielen, bei dene es darauf ankommt, ein Rätsel zu lösen oder die Gedanken der Mitspieler anhand ihrer Spielzüge zu erraten.
"Ich denke, also bin ich." Das bezieht sich nicht nur auf das Erkennen des eigene Seins, sondern auch auf das Ausleben der eigenen Veranlagung. Der Mensch ist nicht nur ein Tier, das in den Tag hinein lebt; er ist ein denkendes Tier, dessen Gehirn – aus evolutionären Gründen Freude daran empfindet, Muster zu erkennen und verborgene Zusammenhänge aufzudecken.

2. Hass

Es ist mittlerweile gesellschaftlich tragfähig geworden, jemanden direkt ins Gesicht zu sagen, dass man das, was ihm Freude bereitet, abgrundtief hasst. Na gut, es muss eines von schätzungsweise drei Kriterien erfüllt sein:
  • Es muss sich um eine Freude handelt, die die Gesellschaft zersetzt: "Ich hasse Rassismus!",
  • eine Freude, die jemanden in seiner Freiheit einschränkt: "Ich hasse Radarkontrollen!",
  • oder einer Freude, mit der man nichts anzufangen weiß: "Ich hasse Dirigieren!".
Bei dem ersten Punkt sind wir uns sicherlich alle einig (ich verweise auf die anderen Themen der Blogreihe), bei dem zweiten fangen wir an, zu ergründen, wieso Radarkontrollen vielleicht manches Mal ärgerlich sind, aber dennoch gesellschaftlich zu begrüßen sind, und beim dritten Punkt, da ist völlig klar, dass eine Tätigkeit nicht nur deswegen verdammen können, weil wir sie nicht beherrschen. Es sei denn, ja, es sei denn, wir haben damit in der Vergangenheit leidvolle Erfahrung gemacht:
  • Wer nicht singen kann, aber in der Schule vorsingen musste, dem wird es leicht fallen zu sagen, dass er das Singen hasst, selbst wenn er gerne Musik hört. Er meint damit, dass er es hasst, selbst zu singen doch die Musik, die mag er.
  • Wer nun in der Schule wiederholt im Mathematikunterricht festsaß und dort sinnlose Aufgaben rechnen musste, dem wird es leicht fallen zu sagen, dass er das Rechnen hasst, und er wird damit meinen, dass er es hasst, selbst zu rechnen doch er wird in der Regel noch weit darüber hinausgehen und voller Überzeugung sagen: "Ich hasse Mathematik!"
Dieser Hass, der in Teilen durchaus begründet, aber im Ganzen unbegründet ist, ist es, dem ich begegnen möchte. (Nicht aus reinem Selbstzweck, sondern um die Gesellschaft voranzubringen.)  Bevor ich sage, wie ich das angehe, muss ich erklären, was genau ich angehe.

3. Mathematik

Hass schöpft sich oft aus Unkenntnis, deswegen ist es ein guter Anfang, die Mathematik näher vorzustellen. Sie gleicht kaum dem Bild, das diejenigen von ihr haben, die sie nur aus der Schule kennen. Dort wird man, so will es der Lehrplan, dazu ausgebildet, sturr Zahlen in Gleichungen einzusetzen, diese nach festen Algorithmen umzuformen, und am Ende einen Antwortsatz zu verfassen. Wieso man diese Rechnungen durchführt und – noch viel wichtiger – wieso die Algorithmen zum gewünschten Ergebnis führen (und wann dies nicht der Fall ist), wird hingegen kaum gelehrt. Dies jedoch ist das Herz der Mathematik, die es ihr erlauben, genau das Gegenteil davon zu sein, was man vielerorts erwartet:

Die Mathematik ist die Wissenschaft davon, das Rechnen zu vermeiden

Diese Definition trifft freilich nicht den Kern, aber ich mag sie, weil sie wunderbar den Gegensatz der öffentlichen Meinung zur eigentlichen Sache darstellt. Mathematiker sind keine Menschen, deren größte Freude es ist, Gleichungen umzustellen und vielstellige Zahlen im Kopf zu dividieren. Letzteres gelingt nur wenigen, und ersteres ist schlicht nützliches, nicht aber notwendiges Handwerkszeug. (Ähnlich, wie es nützlich, aber nicht notwendig ist, Noten lesen zu können, wenn man singen möchte.) Wenn ein Mathematiker aber nicht rechnet, was macht er dann? Er untersucht Muster, denn:

Die Mathematik ist die Wissenschaft der Muster

Diese Definition klingt recht wage: "Muster", das kann nahezu alles sein, doch die Mathematik beschäftigt sich auch mit nahezu allem. Dazu muss sie freilich jedwedes Objekt erst in ihren Wirkunsbereich transferieren. Das Zauberwort, das nun endlich auftaucht, ist "Abstraktion". Dieses sagenumwobene Wort steht für eine ungemein nützliche Idee: Jedes reale Objekt ist so unfassbar kompliziert, dass man es nie in Gänze verstehen wird. Betrachtet man jedoch nur seine relevanten Eigenschaften (welche das sind, hängt freilich vom Kontext ab) und poliert sie solange, bis sie sich einfach darstellen lassen, so ist die Chance groß, dass man das verbleibende Konstrukt verstehen kann. Der mathematische Dreiklang sieht somit so aus:
  1. Abstrahiere von einem Objekt auf eine Sammlung einfacher Regeln.
  2. Untersuche die Eigenschaften des so gebildeten abstrakten Musters.
  3. Übertrage die neue Erkenntnis auf das ursprüngliche Objekt.
Wenn man es genau nimmt, ist nur der zweite Punkt Mathematik. Um die Regeln unter 1. zu erkennen und um zu überprüfen, ob die Erkenntnisse unter 3. wirklich passen, braucht es im einfachen Fall lediglich etwas gesunden Menschenverstand, im komplizierten Fall aber geeignete Wissenschaften, die sich auf die Realität beziehen. Halten wir also fest:

Die Mathematik ist die Wissenschaft der abstrakten Muster

Wie jede Wissenschaft treibt auch die Mathematik ihre einfachen Grundprinzipien so weit, bis nur noch wenige Experten in der Lage sind, den aktuellen Forschungsstand in einem klitzekleinen Teilgebiet zu verstehen. Es kümmert sie dabei nicht einmal, wenn die untersuchten abstrakten Muster keine (bekannte) reale Entsprechung haben. Um Spaß an der Mathematik zu haben, muss man sich jedoch keinesfalls mit Differentialgleichungen oder dergleichen befassen. Es genügt völlig, sich seinem menschlichen Urtrieb hinzugeben: Muster zu erkennen und zu verstehen.


4. Darstellung

Spaß an der Abstraktion ist eine vielfach unverstandene Empfindung, darum tritt die Mathematik für gewöhnlich in einem von zwei möglichen Zerrbildern auf:
  • Ein Kind berichtet frustriert von seiner Fünf in Mathe und alle Umstehenden pflichten ihm bei, dass Mathe schließlich nur etwas für Streber wäre (oder sie behaupten gleich unreflektiert, dass sie Mathe per se hassen würden) – das führt sicherlich zu Sympathie auf Seiten des Lesers.
  • Ein Wissenschaftler, meist nicht reiner Mathematiker, sondern Physiker, damit er nahbarer ist, erklärt mithilfe der Mathematik die Geheimnisse der Welt, ohne dass man als Leser seine Gedankengänge nachvollziehen könnte – das vereinfacht dem Autor die Auflösung des Falls.
Der erste Punkt ist ebenso verwerflich wie andere Klischees. Es mag Zeit und Ort dafür geben, vor allem, um einen Kontrast zum späteren Handlungsverlauf aufzubauen oder eine Nebenfigur schnell zu charakterisieren. Oft aber sind sie lediglich Ausdruck mangelnder Kreativität und obendrein verstärken sie bestehende Vorurteile. Autoren, das könnt ihr besser!

Der zweite Punkt ist ebenso klischeehaft, aber wenigstens werden die Mathematiker nicht mehr generall als pickelige Streber dargestellt, sondern nur noch als speziell. Der Autor muss sich jedoch bemühen, den Mathematiker nicht nur als bequemen Deus ex Machina zu missbrauchen, der plötzlich aus kleinsten Andeutungen heraus alles erschließt. (Im Übrigen ist Mathematik eine langwierige Tätigkeit, in der Geistesblitze wie überall sonst rar gesät sind.) Autoren, auch das könnt ihr besser!

Selten sieht man einen normalen Menschen (oder ein anderes Wesen), der sich im Alltag mit mathematischen Fragestellungen befasst. Möglicherweise ist es langweilig, über Dreiecke zu schreiben, wenn man auch eine fesche Sex- oder Meuchelmörderszene einbauen kann, aber ich denke, der eigentliche Grund ist, dass sich die wenigsten Menschen (und auch die wenigsten Autoren) vorstellen können, dass andere Leute einfach so in ihrer Freizeit über abstrakte Muster nachdenken oder damit eine Aufgabe lösen. Mathematik hasst man oder man geht völlig in ihr auf, eine andere Möglichkeit ist nicht vorgesehen. Ein drittes Mal: Autoren, das könnt ihr besser!

5. Realität

Zurecht wird man nun fragen, wieso man kleine abstrakte Muster in einen Text einbauen sollte, wenn man sie auch einfach weglassen kann. Selbst das Argument, nicht in Extremen zu verweilen, zieht hier nicht, wenn ein normaler Menschen, der Mathematik mag, als größtes aller Extreme aufgefasst wird. Es steht sogar der Vorwurf im Raum, ich würde lediglich mein eigenes Fachgebiet in ein gutes Licht rücken wollen, was mir selbst erlaubt ist, anderen aber nicht überzeugen wird. Man kann über so vieles schreiben, wieso also über ein Fachgebiet, das mit der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen nichts zu tun hat?

Weil Mathematik gesellschaftlich relevant ist

Es ist leicht, es sich gemütlich zu machen und der breiten Masse zu folgen, die in der Mathematik für den Alltagsmenschen lediglich nervtötendes, stumpfes Rechnen sieht und für den Experten ein mächtiges Werkzeug, das zu kompliziert ist, um es zu verstehen. Wir wissen es jedoch besser: sie ist die Wissenschaft der abstrakten Muster. Sie abstrahiert von komplizierten Objekten zu einfachen Strukturen, die man verstehen kann, ohne sich auf das Bauchgefühl verlassen zu müssen. Kenntnisse über reelle Zahlen, algebraische Geometrie und lokal-konvexe Räume sind für die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in der Tat völlig irrelevant, aber ein sauber Umgang mit der Abstraktion ist umso notwendiger, je komplizierter die Welt wird – nur so kann man sie effektiv verstehen. Daher genauer:

Weil abstraktes Denken gesellschaftlich relevant ist

Man braucht gar nicht so weit gehen und fordern, dass jeder versteht, wie ein Computerprogramm funktioniert (oder es gar selbst schreiben kann), um den Robotern nicht die Zukunft zu überlassen. Unsere Welt ist auch jetzt schon kompliziert genug, um nicht auf plumpe Bauchentscheidungen vertrauen zu können. Es ist nicht verkehrt, den automatisch erzeugten, induktiv gewonnenen Heuristiken zu vertrauen, die uns durchs Leben steuern. Man muss jedoch stets wissen, an welcher Stelle die Maschine Mensch (nachweisbar!) fehleranfällig ist. Ohne bewusstes Denken läuft die Menschheit Gefahr, an ihrem Unterbewusstsein zugrunde zu gehen.

Eine Gesellschaft kann überleben, ohne eine exakte Definition der natürlichen Zahlen oder eines Kreises zu besitzen. Auch ist es irrelevant, ob ein Staatsmann in der Lage ist, zwischen Sekante und Tangente zu unterscheiden. Es ist kein Geheimnis: die einfachsten Muster der Mathematik helfen wenig, um die Welt zu verstehen aber dafür sind sie auch gar nicht gedacht.

Einfache abstrakte Muster dienen als Übung

An ihnen kann man verstehen, wie Argumente funktionieren. Wie man A mit B begründet und zugleich C ausschließt. Man lernt, andere zu überzeugen, sich klar auszudrücken und auch, eigene Fehler einzugestehen. Man hat eine Spielwiese für das Gehirn, auf der es, ohne jemanden schaden zu können, frei experimentieren kann. Dort lernt es, die Wirklichkeit zu klassifizieren, Zusammenhänge aufzudecken und gezielt eine konsenfähige Erkenntnis zu erlangen.
 
6. Phantastik

Was kann nun den geneigte Autor tun, um hier zu helfen, den Menschen das abstrakte Denken angenehmer zu gestalten? Dasselbe, wie bei allen anderen Themen, die ihm am Herzen liegen: Sie durch seine Worte in die gesellschaftliche Mitte zu schieben, indem alte Klischees nicht verstärkt werden und indem Anreize geschaffen werden, sich mit einfachen abstrakten Strukturen zu befassen.

In der Phantastik beschreibt man keine langweiligen Dinge, sondern unerhörte Begebenheiten, die den Leser fesseln. Eine trockene Abhandlung über gleichschenkliche Dreiecke ist da sicherlich fehl am Platz. Allerdings ermüden auch ständige Extreme. Weder totale Versager noch Genies sind interessant – und obendrein sind sie unrealistisch. (Das gilt sicherlich für alle Eigenschaften, nicht nur für das mathematische Verständnis.) Ein lohnenswertes Ziel ist es daher, den eigenen Charakteren Eigenschaften zuzuschreiben, die ihn in die Lage versetzen, Probleme des (phantastichen) Alltags zu lösen. An dieser Stelle ist Kreativität gefragt – doch ich bin mir sicher, dass diese reichlich vorhanden ist.

Man braucht auch keine Angst zu haben, den Leser durch abstrakte Muster abzuschrecken. Vielfach hält sich die Meinung, dass abstrakt automatisch kompliziert und unverständlich wäre. Dem ist aber nicht so: Abstraktion ist der Verzicht auf komplizierte Eigenschaften und die Konzentration auf das Wesentliche. Dadurch werden Dinge einfacher, gar so einfach wie möglich. Das einzige Problem ist die fehlende Vertrautheit mit solchen Konzepten. Man kann eine Zahl nicht anfassen wie einen Apfel, und auch einen perfekten Kreis kann man sich nur vorstellen, nicht aber zeichnen. Dennoch wissen wir alle, wie man zählt und wie ein Kreis ausschaut – eben weil unser Gehirn so unfassbar gut darin ist, abstrakt zu denken. Jeder, der weiß, wie man einen Stuhl von einem Sessel unterscheidet, obwohl es ihm nie explizit gesagt wurde, kann auch alle anderen abstrakten Konzepte verstehen. Alles, was er braucht, ist Übung.

Die Aufgabe des Autors ist, auf einem geeigneten Abstraktionslevel einzusteigen. Dabei kommt es gar nicht so sehr auf den Leser an – dieser wird sich diejenigen Geschichten suchen, die seinem Niveau entsprechen (es kann dennoch nicht schaden, ihn an die Hand zu nehmen oder ihm explizit zu erlauben, manche Stellen zu überspringen). Wichtiger ist, dass der Autor nur solche Konzepte verwenden, mit denen er vertraut ist. An einer unsachgemäßen Darstellung (die inhaltlich über die bloße Behauptung einer unglaublichen Tatsache hinaus geht) hat niemand eine Freude und sie schadet viel mehr, als sie nützt. Doch habt Mut, abstrakte Muster in eure Texte einzubauen, der Leser darf auch gefordert werden.

7. Mein Beitrag

Ich selbst übertreibe es gern ein wenig mit der Darstellung logischer Muster, was freilich daran liegt, dass ich mich beruflich damit befasse. Damit gebe ich eher denjenigen, die schon von der Schönheit abstrakter Muster überzeugt sind, ein paar Texte zum Lesen, als ich diejenigen überzeugen würde, die in der Schule völlig vergrault wurden. Vieles versauert auch in Schubladen oder gehört endlich mal überarbeitet, ein paar Anregungen kann ich dennoch geben.

In einer meiner Geschichten wandelt der Protagonist durch eine mathematische Wunderwelt, die voll von Anspielungen auf bekannte Themen der mathematischen Unterhaltung ist, bis er sich am Ende in einer Art Koordinatensystem wiederfindet. Traumähnliche Zustände sind generell eine gute Möglichkeit, um abstrakte Muster einzubringen – wir erinneren uns: sie haben es an sich, dass man sie schlecht anfassen kann. Personifizierungen leisten dann einen guten Dienst.
 
In einem Theaterstück, das aus dieser Geschichte geboren wurde, stellen die Figuren mit ihren Körpern und Bändern vierdimensionale Würfel und Symmetrien einer Pyramide dar, zudem nutze ich reichlich Fußnoten, um Dinge zu erklären, die man sonst nur in Lehrbüchern findet. (Merke: Sollte solch ein Stück jemals aufgeführt werden, könnten die Besucher den Fußnoten nicht entfliehen.)
Es ist auch nicht verkehrt, hie und da einen Fachterminus in fremder Bedeutung einfließen zu lassen, um den Kenner zum Schmunzeln zu bringen. Geeignet sind auch kleine Gedichte, die die uns bekannte Welt mit der mathematischen verbinden. So kann man darüber reden, wie man Socken aus einer Schublade zieht oder wie man Geraden klassifiziert. Manchmal ist Knecht Ruprecht auch einfach nur ein Kreis.

Apropos Kreis: Sind die Figuren einer Geschichte mathematischer Natur, so kann man sie Dinge anstellen lassen, die für normale Wesen völlig unglaubwürdig wären. Ein Kreis kann somit einfach so an einer Fläche haften, eine Zahl kann sich ihre Nachkommastellen abschneiden und neu sprießen lassen, und Punkte können auf endlichem Raum in unendlicher Anzahl vorkommen. Es gibt so viele Möglichkeiten zu erkunden!

Baut man einen Menschen ein, der Ahnung von Mathematik hat, kann dieser über wirkliche Mathematik reden, die er in eine kleine Geschichte verpackt. So kann er den Allquantor erklären oder begründen, wer wem die Hand gegeben hat. Auch kann er einfach nur ein paar Späße machen, die vielleicht zum Nachdenken anregen oder metaphorisch die Grundlagen der Mengenlehre einführen. Abstraktere Figuren können sich selbst in einem mathematischen Rätsel wiederfinden, das für gewöhnlich eher weltfremd wirkt, durch einen lebendigen Protagonisten aber massiv an Spannung gewinnt.

Abgesehen von Geschichten mit explizit mathematischen Inhalten kann man natürlich auch die Methode der abstrakten Muster nutzen, um eine Kurzgeschichte auf den Punkt zu bringen. Eh man lang und breit über Gefühle redet und den Sonnenaufgang beschreibt, kann man sich auch auf das wesentliche beschränken und damit der Geschichte einen weiteren Wirkungsspielraum geben. Die mathematische Art, einen Text zu schreiben, ist allerdings ein Thema, das ich an anderer Stelle besprechen werde.

8. Fazit

Abstrakte Muster sind nicht so kompliziert, wie man denken mag, und sie kommen ganz ohne nervige Rechnerei aus. Es ist durchaus wünschenswert, diese Erkenntnis zu verbreiten und darauf hinzuwirken, sich aus reinem Spaß an der Freude mit solchen Mustern zu beschäftigen. Man gibt seinem Gehirn etwas zu tun, fühlt sich wohl, wenn man etwas verstanden hat, und mit ein bisschen Glück wird man sogar zu einem besseren Menschen, der die Welt retten wird.