Freitag, 27. Januar 2017

Was darf der, der Satire hört?

Bei meiner täglichen Pirsch durch facebook (ihr kennt es bestimmt, daher hier kein Link) bin ich über folgendes Bild gestolpert (dessen Urheber ich verpixelt hab, man weiß ja nie, Datenschutz und so; jedenfalls ist es nicht von mir, aber das wäre eigentlich auch egal):


Nachdem ich den Text mit dem Bild in Einklang gebracht hatte (das hat in der Tat länger gedauert, als es hätte dauern sollen) und schmunzeln musste, kam in mir der Nörgler durch, der sich mal wieder aufregen musste (und es auf facebook auch tat). Was war mein Problem?

1. Was es nicht war (ich stelle gerade fest, dass ich neuerdings zu Beginn meiner Rede erstmal ausschließe, worüber ich nicht rede - ist das normal?)
  • Ich bin kein Unterstützer von Trump oder ähnlich getackteten Menschen, weswegen es mich nicht stört, dass Spruch nebst Bild ihren Effekt auf seine Kosten gehen.
  • Ich mag auch das Recht auf freie Rede und Meinungsäußerung (schon allein deswegen, weil ich ohne es ziemlich schnell anecken würde, muss ja auch an mich denken).
  • Und knappe Sprüche dürfen gerne zugespitzt sein, ja, müssen es wahrscheinlich auch, um überhaupt ausreichend wahrgenommen zu werden. Ganz gleich, ob der Mensch nun Satiriker oder Privatmensch ist (ich habe nachgeschaut: er steht irgendwo dazwischen): prinzipiell darf man erstmal alles (wobei Verallgemeinerungen nie toll sind, und auch hier versteht sich von selbst, dass die Grenzen im geltenden Recht liegen - diese Fall ist von diesen Grenzen allerdings sehr weit entfernt).
2. Was es dann war

Der erste Impuls war der folgende (und das ist der Text, den ich auf facebook hinterlassen habe, allerdings etwas abgeändert und geschönt, man gönnt sich ja sonst nichts):
  • Er behauptet, auf der reinen Faktenebene (was auch immer die heutzutage Wert sein mag), ein ziemlich starkes Stück: Frauen würden moralisch so weit oben stehen, dass sie niemals ein (nachteiliges) Gesetz verabschieden würden, dass Männern etwas über ihre Genitalien vorschreibt.
    Ist das haltbar? Auch unter den Frauen gibt es genügend Abtreibungsgegner, das ist keine Einstellung, die nur Männer befällt, und obgleich ein Mann natürlich nicht mit einer Leibesfrucht durch die Gegend rennen muss (zumindest im Normalfall), ist es von einem Abtreibungsverbot nicht weit zur Kastration (von Strafttätern oder vermeintlich Kranken zum Erhalt des reinen Volkes (was auch immer das wieder sein mag).
Diese Nörgelei ging einher mit einer kurzen Recherche, was Trump da eigentlich unterzeichnet hat: keine schöne Sache, bei der Deutschen Welle ausführlich und in ruhigem Tonfall dargestellt. Mich störte es also nicht, dass jemand auf diesen Akt aufmerksam macht, sondern wie er es tat. Erstmal nur auf reiner Faktenebene, aber eine zweite Erkenntnis lies nicht lange auf sich warten.



Ich wurde darauf hingewiesen, dass die Faktenebene hier (wie meist außerhalb der Mathematik) nicht die einzige relevante Ebene ist und auch nicht unbedingt die relevanteste. Man könne Spruch samt Bild auch als Metapher, Gleichnis, Hinweis (oder was auch immer der passende Begriff aus diesem Begriffsspektrum ist) dafür auffassen, dass Männer noch immer die Frauen unterdrückten und dass man das nicht aus den Augen verlieren sollte. Auch müsse man Frauen keine höhere Moral unterstellen, wenn man einfach nur davon ausgeht, dass Frauen in nächster Zeit nicht in eine solch machtvolle Position aufrücken (was ich allerdings auch bezweifle).

Diese Hinlenkung hin zu den Beziehungen zwischen den Geschlechtern (übrigens hab ich mir gestern ein 500 Seiten starkes Buch zum Thema senden lassen - falls ich es lesen sollte (und das steht nicht fest, da ich weit mehr Bücher als Lesezeit habe), werde ich mich auf dem Gebiet also bald grundlegend auskennen) brachte dann ein subtileres Problem ans Tageslicht. Ich umschrieb es ungefähr so:
  • Der verpixelte Mensch beschwert sich darüber, dass Männer ein Gesetz verabschieden, das direkt an Frauen gerichtet ist und über diese bestimmt.
    Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob allein die Frauen über ihre Leibesfrucht (ich mag dieses Wort) entscheiden sollten (schließlich gibt es auch einen Vater, auch wenn das Kind vollständig in der Frau steckt),
    und abgesehen davon, dass unter diesem Gesetz (Dekret, was auch immer der genaue Fachterminus ist) nicht nur schwangere Frauen, sondern auch andere Menschen (darunter auch Männer) leiden (Angehörige, ungewollte Kinder, Ärzte unter Zwang, Patienten, die nicht behandelt werden können, weil es kein US-Geld mehr für Kliniken gibt, die trotzdem Abtreibungen durchführen),
    ist dieses Argument sehr schwach: Irgendwelche Politiker denken sich laufend irgendwelche Gesetze aus, ohne zu der betroffenen Gruppe zu gehören. Dabei lassen sie sich (hoffentlich) von Leuten beraten, die mit dieser Gruppe vertraut sind, aber selbst müssen sie nichts damit zu tun haben, um ein gutes oder ein schlechtes Gesetz abzufertigen. Jeder kann Gesetze verabschieden, die jeden angehen. Die Frage ist, ob die Beratung gut war, was die Ziele sind, was die Auswirkungen. Darüber kann man fundiert reden und in diesem besonderen Fall gibt es einen so großen Haufen guter Argumente gegen das Gesetz (s. unter dem Link oben), dass ich nicht verstehe, warum man sich auf solche schwachen Argumente einlässt.
Das war der erste Punkt (und der zweite folgt gleich). Mich stört also, um das kurz zu fassen, dass man sich eines simplen Arguments bedient ("Man sollte nicht über Gruppen entscheiden, denen man nicht selbst angehört"), das pauschal nicht gilt, aber auch nicht unbedingt speziell ("Männergruppen sollten nicht über Frauengruppen entscheiden") oder noch spezieller ("Männliche, gewählte Politiker sollten nicht über Frauengruppen entscheiden"), wo es doch so viel bessere, klarer, spezifischere Argumente gibt. Neben der (vermeintlich) größeren Schlagkraft passender Argumente stieß mir dann auch die Pauschalisierung gewaltig auf:
  • Letztlich verfestigt so eine pauschale Aufteilung doch nur die Spaltung in Männer vs. Frauen: Männer, das sind die, die Gesetze gegen Frauen erlassen; Frauen, das sind die ohne Macht, die aber Ähnliches nie machen würden. (Das ist die zugespitzte Lehre (also das, was möglicherweise hängen bleibt) aus den Worten da oben.) Dabei fällt unter den Tisch, dass das nicht irgendwelche Männer sind, die da ein Gesetz unterschreiben, wie das jeder aus der Klasse "Männer" tun würde, sondern dass das Trump ist mit seinen Leuten (von denen viele Männer sind), der ein doofes Gesetz unterschreibt. Die Schlagrichtung ist also eindeutig: Richtung Trump, Richtung Vertreter einer christlichen Sexualmoral. Das ist viel spezifischer und damit klarer, als ganz allgemein Männer gegen Frauen in Stellung zu bringen.
Um es kurz zu fassen: Der Text gibt nicht wieder, was man in ihn vollumfänglich hinein interpretieren kann - und das ärgert mich. Mich stört nicht die politische Meinung auf einer der beiden Seiten, sondern diese pauschalisierende, unspezifische Art der Argumentation, die auf den kurzen Effekt bedacht ist, dabei jedoch Vorurteile verfestigt und am Kern der Sache vorbeigeht.


3. Fazit

Diese gesamte Geschichte, die so oder so ähnlich tausendfach stattfindet, ist letztlich nur ein Aufhänger für eine Erkenntnis, die nicht neu ist, aber (so scheint es mir) selten formuliert wird: Satire mag alles dürfen (wobei sich kein Satiriker dumpfer Beleidigung, falscher Tatsachenbehauptung oder gar Volksverhetzung bedienen muss - von ihm wird erwartet, mit Worten umgehen zu können), aber dem Konsumenten sind Grenzen gesetzt: Er darf darüber lachen, er darf sie vergessen, aber er darf sie nicht für bare Münze nehmen (und das geschieht öfter, als man denkt, immer wieder gut zu sehen auf facebook unter einem satirischen Beitrag).

Da die Satire zuspitzt, kommt dem Konsument die schwierigere Aufgabe zu, das Gehörte wieder zu entspitzen, abzuflachen. Viele verschiedene Bilder können zur selben Satire zugespitzt werden - wie aber findet man das ursprüngliche Bild? Was ist wahr, was falsch, was nur möglicherweise etwas von beidem? Der Konsument ist also dazu angehalten, über die Satire nachzudenken. Er muss sich klar werden, welche Argumente er teilt, welche nicht - und vor allem warum. Er muss sein Weltbild ordnen, Hintergründe in Erfahrung bringen, seine Deutung mit anderen abgleichen. Er darf sich nicht auf den satirischen Gipfel ausruhen, sondern muss den richtigen Weg hinab ins Tal finden und dabei viele Erkenntnisse aufsammeln. Sollte das nicht möglich sein, so darf er sich nicht auf den Gipfel führen lassen, denn dort ist es ungemütlich und er wird sterben (oder, in einer nicht ganz so schaurigen Metapher, zumindest nie wieder heim finden).

In diesem Sinne habe ich meinen selbstauferlegten Auftrag erfüllt: ich habe über den Spruch nachgedacht, ich hab das sogar dokumentiert, und nun bin ich mit mir im Reinen. Auch mal ein schönes Gefühl. 

Montag, 23. Januar 2017

Kugeldreiecke und regelmäßige Körper

Ich habe heute eine Rechenaufgabe für euch, und zwar, den folgenden Term zu kürzen: $$\frac{6(2(\arccos(-1/3) + 2\arccos(1/\sqrt3)-\pi))+ 8(3\arccos(1/3)-\pi)}{4\pi}.$$Das mag euch (was nur zu verständlich ist) als verschwendete Lebenszeit erscheinen, doch lasst euch gesagt sein: das Ergebnis ist eine ganz besondere natürliche Zahl!

Woher stammt dieser seltsame Term? Lasst es mich erklären (wie solltet ihr mich auch daran hindern, nicht wahr?) Er hängt zusammen mit Kugeln, Dreiecken, Raumwinkeln und platonischen Körpern: