\[\frac 54 \cdot \frac 85 = \frac{5\cdot 8}{4\cdot 5} = \frac 84 = 2.\] Das kann nicht einmal ich imposant finden. Ein besseres Beispiel ist das folgende
Spezielle Integral
Wir möchten etwas Zeit damit verbringen, das Integral
\[\int_0^\infty \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx\]zu berechnen. ("Warum?", fragt ihr? Als wäre das eine angebrachte Frage! Einfach so :)
1. Wohldefiniertheit
Bevor wir loslegen, überlegen wir uns, ob dieser Integralausdruck überhaupt sinnvoll ist. Es ist offensichtlich, dass wir über die Funktion
\[f\colon x\mapsto \frac{\ln(x)}{1+x^2}\]integrieren wollen, und zwar über dem Integrationsintervall $[0,\infty)$.
Am ersten Faktum irritiert uns nicht der Logarithmus $ln(x)$ – den müssen wir hinnehmen – sondern der Umstand, dass dieser im Nullpunkt gar nicht definiert ist. Am zweiten Faktum stoßen wir uns ein wenig an der Unendlichkeit, ohne genau zu wissen, wieso. Vielleicht ist es komisch, unendlich lange Funktionsgraphen zu betrachten, oder wir fragen uns, wie man denn $\infty$ in die Stammfunktion (falls wir denn eine finden) einsetzen sollen.
Die mathematisch korrekte Antwort für beide Fragen finden wir (im Rahmen der hier genutzten riemannschen Integrationstheorie) durch eine Einführung von Grenzwerten: Da wir wissen (sollten), wie Integrale über endlichen Intervallen $[a,b]$ mit $0 < a < b < \infty$ definiert sind, können wir dies nutzen, indem wir beschließen:
Das obige Integral ist ein uneigentliches Integral, das definiert ist über die Summe von Grenzwerten
\[\int_0^\infty \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx = \lim_{a\to 0+} \int_a^1 \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx + \lim_{b\to\infty}\int_1^b \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx,\]und zwar genau dann, wenn beide Grenzwerte existieren (also reelle Zahlen bezeichnen).
Diese Definition ist plausibel, wenn man bedenkt, dass es in der Mathematik üblich ist, unbekannte Größen durch bekannte zu approximieren: In diesem Fall das Integral mit komischen Grenzen durch Integrale mit normalen. Auch ist diese Definition konsistent mit dem Fall, dass eine weitere Funktion $g$ eigentlich ganz normal (zumindest im Nullpunkt) integrierbar wäre. Es gilt nämlich für solche $g$
\[\int_0^1 g(x) dx = \lim_{a\to 0+}\int_a^1 g(x)dx,\]wobei das linke Integral das normale und nicht das eben definierte uneigentliche ist.
Einzig verwunderlich dürfte die $1$ sein, die unmotiviert als obere bzw. untere Integrationsgrenze auftaucht. Man überlegt sich hier aber auch schnell, dass wir an ihrer statt jede andere Zahl $c$ mit $0<c<\infty$ hätten nehmen können: egal wie, der Wert des so definierten Integrals bleibt gleich.
2. Existenz
Als nächstes stellen wir uns die Frage, ob das Integral nach dieser Definition wirklich existiert. Wir möchten es nicht exakt berechnen, sondern nur wissen, ob sich die Mühe lohnt, nach dem genauen Wert zu suchen. Dies gelingt hier recht einfach durch eine Abschätzung.
Wir beginnen mit dem Integralteil nahe $0$, indem wir ein beliebiges $x \in (0,1]$ betrachten. Die Division durch $1+x^2$ tut in diesem Bereich nicht viel, was die Existenz des Integrals beeinflusst (wobei sie natürlich für den exakten Wert von Bedeutung ist), also werden wir sie schnell los:
\[\left|\frac{\ln(x)}{1+x^2}\right| \leq \frac{|\ln(x)|}{1} = -\ln(x).\]Die letzte Funktion können wir über jedem Intervall $[a,1]$ mit $a>0$ völlig normal integrieren, denn wir kennen eine Stammfunktion:
\[\int_a^1 -\ln(x)dx = \left[ x - x\cdot \ln(x)\right]_a^1 = 1 - \ln(1) - a + a\cdot \ln(a).\]
Der Logarithmus von $1$ ist natürlich $0$, und wenn $a$ gegen $0$ konvergiert, verschwindet auch der Term $-a$. Es bleibt nur die Frage, wie sich $a\cdot\ln(a)$ verhält. Dafür haben wir allerdings den famosen Satz von l'Hospital, der uns folgendes Ergebnis liefert:
\[\lim_{a\to 0+} a\cdot \ln(a) = \lim_{a\to 0+} \frac{\ln(a)}{a^{-1}} = \lim_{a\to 0+} \frac{a^{-1}}{-a^{-2}} = \lim_{a\to 0+} - a^{1} = 0.\]
Insgesamt kommen wir damit zu der Abschätzung
\[\lim_{a\to 0+} \int_a^1 -\ln(x)dx \leq \lim_{a\to 0+} 1 - a + a\cdot\ln(a) = 1.\]
Da $-ln$ eine integrierbare obere Schranke für $|f|$ ist, können wir daraus schlussfolgern, dass
\[\int_0^1 \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx = \lim_{a\to 0+}\int_a^1 \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx\] existiert und dem Betrage nach ebenfalls durch $1$ beschränkt ist.
3. Zwischenbemerkungen
Durch eine partielle Integration können wir unser Integral, das über eine nicht stetig fortsetzbare Funktion gebildet wird, auf stetig fortsetzbare Funktionen zurückführen:
\[\int_a^1 \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx = \left[\ln(x)\cdot\arctan(x)\right]_a^1 - \int_a^1 \frac{\arctan(x)}{x}dx.\]Das ist irgendwie nett und wer mag, kann gerne mit dem Satz von l'Hospital nachprüfen, dass die nun auftauchenden Funktionen für $x$ gen $0$ einen reellen Grenzwert besitzen.
Für das Integral nahe $\infty$ können wir nicht auf dieselbe Weise vorgehen, denn in diesem Bereich ist der Divisor $1+x^2$ wichtig, um das Wachstum von $\ln(x)$ zu bändigen. Wir benötigen aber auch keine weitere Abschätzung, wie wir gleich erfreut sehen werden.
4. Berechnung ohne Berechnung
Wir werden eine gewisse Symmetrie ausnutzen, die bislang noch nicht sichtbar ist, um die Existenz des Integrals sicherzustellen. Die Idee dahinter ist, die Unendlichkeit in den Integralgrenzen durch die Transformation $x\mapsto t = 1/x$ auf einen endlichen Wert zurückzuführen.
Für jedes $b>1$ gilt:
\[\lim_{b\to\infty} \int_1^b \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx = \lim_{b\to\infty}\int_1^{1/b} \frac{\ln(t^{-1})}{1+t^{-2}}-t^{-2}dt = \lim_{b\to\infty} -\int_1^{1/b} \frac{-\ln(t)}{t^2+1}dt.\]Nun sieht man schon die Magie, nicht wahr? Nicht nur, dass wir uns nun mit einem Integral über einem endlichen Intervall beschäftigen können; wir können sogar durch die Ersetzung von $1/b$ durch $a$ zu dem Integral übergehen, das wir schon kennen (denn wenn $b$ nach unendlich strebt, strebt $1/b$ nach $0+$, die Integrationsgrenzen drehen wir um und ob wir die Integrationsvariable nun mit $x$ oder $t$ bezeichnen, ist völlig ohne Belang). Kurz:
\[\int_1^\infty \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx = -\int_0^1 \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx.\]Dies sichert uns auf Anhieb die Existenz und weiterhin sofort den Wert des gesuchten Integrals, ohne den Wert der Teilintegrale zu kennen:
\[\int_0^\infty \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx = \int_0^1 \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx + \int_1^\infty \frac{\ln(x)}{1+x^2}dx = 0.\]
Das habe ich anfangs gemeint: Wenn sich nach langer Arbeit etwas kürzt, ist das einfach zauberhaft!